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Glasgravur ist nicht einfach verstaubtes Handwerk: In Christian Schmidts Werkstatt wird sie zum erzählerischen Ausdrucksmittel eines Zauberers in Glas. Jeder Einschnitt des Gravurrads ist irreversible und spontan, er bedarf meditativer Sicherheit und präzisen Könnens. Das Zeichnerische und zugleich Plastische der Glasgravur drängt zur gegenständlichen Assoziation, ihre Sensibilität verführt zur Detailsuche, zum genauen Hinsehen.


Zunächst aber ist da nur das Vexierspiel von Vorder und Hintergrund, von Licht und Schatten, der Kontrastwirkungen flächig gestrahlter und gravierter Farbüberfänge. Szenische Komplexe entstehen, aus denen sich erst beim Betrachten einzelne Figuren lösen. Flüssige Formen, wie gegenstandslos und zufällig, gerinnen zu Gesichtern, Gliedern, Trauben von Körpern, Schiffladungen voller Menschen und Tierwesen, ein jedes von einer Geschichte gezeichnet, gesprächig, dicht. Das Menschliche ist es, was Christian Schmidt interessiert, bis zur Groteske – und da ist es auf einmal doch nicht die phantastische Traumwelt, der geschlossene Erzählzusammenhang aus der Volksmythologie oder aus dem Science-Fiction-Milieu, sondern das behäbige Eigene, das uns mit vielen Augen anblickt. Attribute der Moderne, einer kleinbürgerlich-banalen Moderne kommen wie selbstverständlich daher, mit leiser Ironie vielleicht; oder die gerahmten Zitate aus der Kunstgeschichte, bekannt und plötzlich fremd: eine Kunst der kleinen Zeichen, der Zwischenräume und überraschenden Kontexte, die sich bei aller Konkretheit vorgefertigten Deutungsmustern entzieht.


Die Glaswand ist dabei nicht einfach neutraler Bildträger, sondern die Hohlglasform ebenso wie die aufgestellte Lithophanietafel stellen den szenischen Raum, das Gefäß schafft mit jeder Drehung neue Durchsichten, Überschneidungen und Szenenwechsel. Durchblicke öffnen sich nach nirgendwo, zwischen freundlicher Vertrautheit und Irritation. Fäden verspinnen sich, der Fortgang der Geschichte bleibt fraglich und seine Protagonisten verschwinden in dem flüssig-gläsernen Hintergrund, aus dem sie gekommen sind.

Katharina Eisch

Ein riesiges Stück Freiheit

... Heute sind seine unverwechselbaren Phantasiegestalten und verschlungenen Geschichten, die er mit dem diamantbesetzen Gravurrad in die ein- oder mehrfarbigen Überfänge von Flachgläsern, Vasen oder Schalen hineingraviert, in allen wichtigen Glasmuseen der Welt zu finden. Die hochwertigen Rohlinge bezieht er aus der Glasfachschule Zwiesel, bearbeitet sie mit Holzleim und Sandstrahl und lässt aus der so entstandenen Grundstruktur Schnitt für Schnitt, vom Dunklen ins Helle, seine Bilder entstehen. Vollkommen frei, ohne Skizze oder Entwurf, in früheren Jahren meist in der Nacht, ruhig und komplett in seine Phantasien vertieft. Ohne Gedanken an mögliche Käufer fabuliert er vor sich hin, will nichts Spezielles, nichts erzwingen und schafft so unverwechselbare Unikate, die in ihrer Komplexität auch von ihm selber kaum zu kopieren wären. Das Glas ist seine Leinwand, nur arbeitet er in einer dem Malen entgegen gesetzen Richtung: Er nimmt immer mehr weg, bis er mit einem Bild zufrieden ist. So entstehen freundliche Kobolde, musizierende Vögel, bizarre Fabelwesen zwischen Mensch und Tier, die in kaum durchschaubare, geheimnisvolle Geschehnisse verwoben sind. Selten bedrohlich, eher humorvoll-grotesk und häufig mit dem freundlichen Schalk in den Augen, der auch ihren Schöpfer sympatisch macht. Er setzt dabei Glanzlichter einer Handwerkskunst, die höchste Konzentration und Präzision erfordert und deren ganze Qualität immer erst bei optimaler Beleuchtung erkennbar wird. So großzügig, fast verschwenderisch er seine Phantasie bei der Gestaltung seiner Arbeiten einsetzt, so karg und bescheiden bleibt er bei bei ihrer Namensgebung. Entweder verzichtet er ganz darauf oder beschränkt sich auf „Vase, blau, Schale, klein, mehrfarbig“ oder ähnliches. Nicht zu viele Worte machen. Er erklärt auch nie, wie ein Bild gemeint ist, weil jeder seine eigene Erklärung finden muss, seine eigene Geschichte entdecken soll.

Harald Dobler, Magazin Lichtung 4/2013

Er ist der Maler mit dem Diamantrad

... Die Arbeiten von Christian Schmidt sind unverwechselbar. Es ist nicht die reale Welt, die er abbildet auf Vasen und Schalen, Flachglas und Bechern. Es ist ein skurriles Figurenkabinett mit einer Fauna, die man in keinem Tierlexikon wird finden können.Und es dauert immer ein wenig, bis sich dem Betrachter die Geschichten öffnen, die da erzählt werden. Jeder wird dabei eine eigene Geschichte sehen und erleben. „Darum“, so sagt der ChriSch, „erkläre ich nie was gemeint ist, weil jeder seine eigene Erklärung finden muss.“


Der Künstler arbeitet ohne jede Vorzeichnung. Er präpariert das Glas mit ein paar einfachen Kunstgriffen aber so, dass es ihm und seinem Gravurrad selber den Weg weist und unter seinen Händen all die herrlichen, zauberhaften, hintersinnigen Figuren entstehen, die musizierenden Vögel, die bizarren Fische, die bedrohlichenm Echsen und Drachen, die unschuldigen Hasen oder die eine ganze Glasrundung füllenden Bären, ein sturmbedrohter Kahn mit verängstigter Besatzung und der Welle, die sie im nächsten Augenblick wohl zermalmt.


Gravieren ist wohl die edelste Form der Glasveredelung. Christian Schmidt beherscht die Technik so gut, dass er es immer wieder auf's Neue wagen kann, sich von den Einfällen und Motiven, ob sie nun aus dem Kopf oder aus dem Bauch kommen, einfach forttragen zu lassen. Das Ergebnis wird immer ein Ereignis sein. "Je vielbödiger und verschlungener das alles ist, desto lieber ist es mir, denn das Leben ist ja auch keine gerade Linie", sagt er. Wie er Schattierungen herausarbeitet, Glanzlichter setzt, die Schichten eines Überfangglases zu nutzen versteht, das weist ihn als großen Meister aus, dessen Arbeiten noch in den Vitrinen stehen werden, wenn es ihn selber nicht mehr gibt, wie das bei nur ein paar einstigen Glasschneidern der Fall ist.


Und dann malt er ganz gern, zeichnet mit Tusche auf weißem Papier, meistens einfach zur Entspannung, immer spontan und ohne beim ersten Strich mit Pinsel oder Feder schon zu wissen, was dabei herauskommt. Auch seine Zeichnungen zeigen eine zweite Welt, sind Seelenzustandsberichte und Karikaturen zugleich, sprühend von Ideen, bei denen Komik und Tristesse auf eine seltsam harmonische Weise zusammenspielen. Zeichnen ist für ihn ein Stück Freiheit, eine Abnabelung vom Gravurrad, das ihm nicht nur die absolut ruhige Hand, sondern auch hoch konzentrierte Disziplin abverlangt.
Er spielt Gitarre in einer kleinen Band und er spielt gern Theater in einem kleinen Ensemble. ...

Adalbert Pongratz, Schöner Bayerischer Wald


... in Mensch und Tier verwandelter Kobold, halb Poltergeist, halb Spiritus familiaris. Gehörnt und beflügelt. Idole wie an romanischen Portalen. Wie Wasserspeier und Kleienkotzer. Aber keine Götzen. Harmlose Gnome. Nicht Masken aus Rauh- und Losnachtumzügen. Keine Geister und Wiedergänger, "Weiherzer" sehen anders aus. Da herrscht nicht die Drohgebärde, eher das Foppende, Possenreißerische, Ironische, Vorwitzige, das harmlose Groteske. Verspielt, nicht vertändelt. Ein Panoptikum des Seltsamen. Bedrohlich wirken sie nur in ihrer Gebaltheit. Knäuel von verhalten-eruptiver Gewalt, jeden Moment fähig, über den Rand des Gefäßes zu klettern und auszureißen. Verschiedenartige Charaktere und doch zusammen gehörig. Vorstellbar, dass sie einen kleinwüchsigen König untertan sind. Bei Vollmond steigen sie aus Höhlen, Sümpfen und Aquarien, um bei Tagesanläuten wieder zu versickern.Wir kennen sie nicht und glauben doch, solchen Gesichtern irgendwann einmal begegnet zu sein. Im Traum? Im Alltag? ...

Prof. Dr. Reinhard Haller

Entdeckungsreisen in Glas

Im Bug des Bootes sitzt ein Hase. Kopf und Ohren hängen leicht nach vorn. Man weiß nicht so recht, ob er traurig ist. Sicher nimmt er nicht die riesige Welle wahr, die im nächsten Moment über das Boot hinwegrollen wird.
Dem Rest der Mannschaft, die sich als Schicksalsgemeinschaft im hinteren Teil des Bootes aneinandergekauert hat, schwant nichts Gutes. Skepsis und Angst sprechen aus ihren Augen. Eine merkwürdige Besatzung: manche mehr Tier als Mensch, Maskenträger, und der Hase ist vielleicht keiner, denn Gesicht und Hand sind eindeutig menschlicher Natur.

Das Objekt „Die Welle“ ist ein gutes Beispiel für die Welten, die Christian Schmidt (ChriSch) aus den Farbüberfängen seiner Gläser herausgraviert. Es sind Momentaufnahmen von seltsamen Situationen, die sich eindeutiger Zuordnung oder Interpretation entziehen. Gemeinsam ist ihnen allen die Doppelbödigkeit, die Möglichkeit jedes Augenblicks des menschlichen Lebens, sich zum Guten oder Schlechten zu wenden. Der Betrachter erkennt die Ambivalenz seiner eigenen Existenz in ihnen gespiegelt. Schichten kollektiven Unterbewusstseins werden angetippt, Abgründe ahnbar. Aber die merkwürdigen Gesellschaften, die sich auf ChriSchs Glasarbeiten tummeln, strahlen zugleich auch eine Leichtigkeit aus, die das notwendige Gegengewicht zum existentiellen Gefährdungspotential bilden, dem sie in ihrer Verstricktheit ausgeliefert sind.

So auch in der Vase, die als Abrollung abgebildet ist. Auf den ersten Blick eine klare Sache: die Muttergestalt mit dem nötigen Überblick auf dem Turm – ihr Gegenspieler mit der Teufelskopfmandoline und dem stechenden Blick, assistiert von einer Mannschaft von Unholden – am Boden eine Angstgestalt – Kampf zwischen Gut und Böse – vielleicht die Mutter, die den Sohn vor Unheil bewahren will – eine Geschichte mit absehbar traurigem Ende, denn die Mutter steht auf äußerst wackligem Grund. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Diese gütige Mutter ist bei näherem Hinsehen eine merkwürdige Gestalt. Um ihren Oberkörper hängt an schweren Bändern eine Maske, die sie sich offensichtlich vom Gesicht genommen hat. Ihr Unterleib ist unbekleidet und bei genauerer Betrachtung ist man nicht mehr sicher, ob sie ein eindeutig weibliches Wesen ist. Auch ihr Gegenspieler ist seltsam genug und geschlechtlich nicht eindeutig zu bestimmen. Sein Gesicht wirkt nun durchaus nicht dämonisch oder hinterlistig, eher sympathisch. So öffnen sich ChriSchs Geschichten mit jeder Drehung des Gefäßes für eine neue Entdeckungsreise. Lässt man sich ein, kommen sie dahergeschwebt wie unsere nächtlichen Träume. Wie diese sind sie nebulös und undurchschaubar, aber eben gerade deshalb in der Lage, Bewusstes und Unbewusstes zu integrieren.

ChriSch (Jg. 1958) akzeptiert seine Figuren auch wo er sie kompromisslos parodiert. Stets bewahrt er den nötigen distanzierten Blick und geht dennoch liebevoll mit ihnen um. Hier liegt die Wurzel für den hintergründigen Humor, der typisch für seine Arbeiten ist. So kann sich der Betrachter vertrauensvoll einladen lassen zu einer Reise in das Licht- und Schattengewebe seiner eigenen Innenwelten. Bei Erich Fromm heißt es: „Was im Wachzustand gewöhnlich unbewusst ist, wird in der Kunst bewusst gemacht.“ Christian Schmidt besitzt über seine Virtuosität als Graveur hinaus die Gabe, in seinen Werken diese Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem zu überschreiten.

Norbert Kalthoff – Glashaus 4/2001


„... Seine persönliche Mythologie enthält androgyne, maskierte Zwischenwesen, dann unbehauste Clowns oder Tiermenschen mit fehlmutierten Händen und Rüsselnasen. Infernalische Gegenentwürfe zum Ideal-Schönen das alles Sumpfblüten des Schlimmen und Unheilvoll-Verführerischen gibt es und spielerische Scenen am Rande des Nihilismus, nicht ohne ein Gran Heiterkeit, ein Hoffnungsschimmer im Reiz der Farb-Licht-Reflexe, bei plastischer Wirkung der expressionistischen Bildvisionen. ....“

Dr. phil. Wolfgang Sauré, Sept. 2002 Ausstellungseröffnung Galerie Max21, Iphofen